Dieselklagen – und die Verkehrs-Rechtsschutzversicherung
Die in einer Verkehrs-Rechtsschutzversicherung verwendeten Klauseln in § 21 Abs. 2 und Abs. 8, § 23 Abs. 3 Satz 4 der „Verkehrsrechtsschutz-Versicherungsbedingungen (VRB) 1994“ sind unklar, sodass die Zweifel bei der Auslegung gemäß § 305c Abs. 2 BGB zulasten des die VRB 1994 verwendenden Versicherungsunternehmens gehen.
Diese „Verkehrsrechtsschutz-Versicherungsbedingungen (VRB) 1994“ lauten auszugsweise:
§ 21 Verkehrs-Rechtsschutz mit Vorsorgeversicherung und Personen-Verkehrsrechtsschutz
1Versicherungsschutz besteht für den Versicherungsnehmer in seiner Eigenschaft als Eigentümer, Halter, Fahrer und Insasse aller bei Vertragsabschluß auf ihn zugelassenen und im Versicherungsschein genannten Fahrzeuge. 2Als auf den Versicherungsnehmer zugelassen gilt ein Fahrzeug, wenn auf seinen Namen ein Fahrzeugschein ausgestellt und ein amtliches Kennzeichen erteilt worden ist.
1Ferner besteht Versicherungsschutz hinsichtlich aller später während der Vertragsdauer auf ihn zugelassenen Fahrzeuge der im Versicherungsschein genannten Gruppe. 2Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, alle auf ihn zugelassenen Fahrzeuge einer Gruppe zum Versicherungsschutz anzumelden, wenn im Versicherungsschein ein Fahrzeug dieser Gruppe genannt ist.
…
1Die Vorsorgeversicherung wird wirksam, wenn sich nach Vertragsabschluß die Gesamtzahl der auf den Versicherungsnehmer zugelassenen Fahrzeuge der Gruppe eines im Versicherungsschein genannten Fahrzeugs erhöht. […] 4Wird ein Fahrzeug hinzuerworben, das in die Gruppe eines versicherten Fahrzeugs fällt, so besteht Versicherungsschutz auch für Rechtsschutzfälle, die im Zusammenhang mit dem Vertrag über den Erwerb stehen. […]
…
§ 23 Fahrer-Rechtsschutz mit Vorsorgeversicherung
1Die Vorsorgeversicherung wird wirksam, wenn der Versicherungsnehmer ein Fahrzeug auf sich zuläßt. 2Dann wandelt sich der Vertrag um in einen solchen nach § 21 (Verkehrs-Rechtsschutz) […]. 4Versicherungsschutz besteht auch für Rechtsschutzfälle, die im Zusammenhang mit dem Vertrag über den Erwerb dieses Fahrzeuges stehen.
Auch nach Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Auslegungsmethoden kann aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers nach den maßgeblichen Versicherungsbedingungen Deckungsschutz nicht nur für Ereignisse bestehen, die dem Versicherungsnehmer als Eigentümer, Halter, Fahrer oder Insasse eines zugelassenen Fahrzeugs mit dem Fahrzeug widerfahren, sondern er wird einen Deckungsanspruch jedenfalls auch für Ereignisse für möglich halten, die ihn in seiner Eigenschaft als Erwerber eines noch zuzulassenden Ersatzfahrzeugs der Gruppe des versicherten Fahrzeugs betreffen.
In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nimmt die klagende Versicherungsnehmerin ihre Rechtsschutzversicherung auf Feststellung der Verpflichtung zur Gewährung von Deckungsschutz für die Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen gegen eine Herstellerin wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung bei einem von ihr erworbenen Fahrzeug sowie auf Schadensersatz wegen Nichterteilung der Deckungszusage in Anspruch. Sie unterhält bei der A. Versicherung seit 1997 eine Verkehrs-Rechtsschutzversicherung nach „§ 21 VRB 1994 für die private Nutzung 1 PKW“. Die Versicherungsnehmerin erwarb im November 2017 einen gebrauchten Pkw. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor ausgestattet und verfügt seit 2016 über ein sogenanntes Thermofenster. Es wurde einige Tage nach dem Erwerb auf die Versicherungsnehmerin zugelassen. Die Rechtsschutzversicherung lehnte eine von der Versicherungsnehmerin erbetene Deckungszusage für die außergerichtliche und erstinstanzliche Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB gegen die Herstellerin des Fahrzeugs ab, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg habe.
Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Itzehoe hat der Klage auf Feststellung, dass die Rechtsschutzversicherung verpflichtet ist, für die außergerichtliche und erstinstanzliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die Herstellerin aufgrund des Fahrzeugkaufs der Versicherungsnehmerin bedingungsgemäß Deckungsschutz zu gewähren und ihr sämtliche Schäden zu ersetzen, die aus der nicht erteilten Deckungszusage resultieren, stattgegeben[1]. Auf die Berufung der Rechtsschutzversicherung hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen[2].
Auf die hiergegen gerichtete Revision der Versicherungsnehmerin hat der Bundesgerichtshof das Urteil des Oberlandesgerichts insbesondere insoweit aufgehoben, als dieses die Klage auf Feststellung der Verpflichtung der Rechtsschutzversicherung zur Gewährung von Deckungsschutz aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag abgewiesen hat, und im Umfang der Aufhebung die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht zurückverwiesen. Entgegen dessen Auffassung besteht für den geltend gemachten Rechtsschutzfall Versicherungsschutz. Die vom Versicherer verwendeten Klauseln des § 21 Abs. 2 und Abs. 8, § 23 Abs. 3 Satz 4 VRB 1994 sind unklar, sodass die Zweifel bei ihrer Auslegung gemäß § 305c Abs. 2 BGB zu seinen Lasten gehen. Da das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem Rechtsschutzversicherer noch nicht auf die Versicherungsnehmerin zugelassen war, ergibt sich der Versicherungsschutz allerdings nicht aus § 21 Abs. 1 VRB 1994. Der Versicherungsnehmer entnimmt dem Wortlaut dieser Regelung nichts dazu, dass Versicherungsschutz auch für Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Erwerb des Fahrzeugs gewährt werden soll.
Nimmt der Versicherungsnehmer dann allerdings § 21 Abs. 2 und Abs. 8 sowie § 23 Abs. 3 Satz 4 VRB 1994 in den Blick, ist auch eine Auslegung möglich, wonach Versicherungsschutz im Zusammenhang mit der Anschaffung eines Ersatzfahrzeugs besteht. Isoliert aus dem Wortlaut des § 21 Abs. 2 VRB 1994 wird er zwar noch nicht schließen, dass der Versicherer für Versicherungsfälle, die vor dem Zeitpunkt der Zulassung des nach Abschluss des Versicherungsvertrags erworbenen Fahrzeugs der im Versicherungsschein aufgeführten Gruppe eingetreten sind, Versicherungsschutz gewährt. Wendet er sich sodann aber den Regelungen in § 21 Abs. 8 Satz 4, § 23 Abs. 3 Satz 4 VRB 1994 zu, wird er diesen entnehmen, dass der Versicherer für mit dem streitgegenständlichen Fall im Übrigen gleichgelagerte Versicherungsfälle jedenfalls dann Versicherungsschutz gewährt, wenn das Fahrzeug hinzuerworben worden ist und in die Gruppe eines versicherten Fahrzeugs fällt. Denn in diesen Fällen besteht Versicherungsschutz nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Klausel auch für Rechtsschutzfälle, die im Zusammenhang mit dem Vertrag über den Erwerb stehen. Der Versicherungsnehmer wird bei aufmerksamer Lektüre der Versicherungsbedingungen weiter annehmen, dass Schadensersatzansprüche gegen den Hersteller eines erworbenen Fahrzeugs wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in diesem Sinne im Zusammenhang mit dem Vertrag über den Erwerb stehen. Denn § 21 Abs. 8 Satz 4 VRB 1994 beschränkt den Versicherungsschutz nicht auf die vereinbarte Leistungsart des Vertrags-Rechtsschutzes. Vielmehr erstreckt sich das Leistungsversprechen des Versicherers danach auch auf die Leistungsart des Schadensersatz-Rechtsschutzes, solange der Versicherungsfall im Zusammenhang mit dem Vertrag über den Erwerb steht.
Nimmt der Versicherungsnehmer dann § 21 Abs. 9 VRB 1994 und § 23 Abs. 2 a)), Abs. 3 Satz 1, 4 VRB 1994 in den Blick, wird er erkennen, dass der Versicherer nicht nur in den Fällen, in denen sich die Anzahl der Fahrzeuge der versicherten Gruppe nach Vertragsabschluss erhöht, sondern auch in denjenigen, in denen sämtliche vom Versicherungsschutz umfassten Fahrzeuge wegfallen, Versicherungsschutz für Rechtsschutzfälle der streitgegenständlichen Art gewährt. Denn gemäß § 21 Abs. 9 Satz 1 VRB 1994 wird der Versicherungsvertrag ab dem Zeitpunkt des Wegfalls aller vom Versicherungsschutz umfassten Fahrzeuge unter anderem als Fahrer-Rechtsschutz nach § 23 VRB 1994 fortgeführt. Lässt der Versicherungsnehmer ein Fahrzeug auf sich zu, so bestimmt § 23 Abs. 3 Satz 1 VRB 1994, dass die Vorsorgeversicherung wirksam wird. Nach § 23 Abs. 3 Satz 4 VRB 1994 besteht Versicherungsschutz auch für Rechtsschutzfälle, die im Zusammenhang mit dem Vertrag über den Erwerb dieses Fahrzeuges stehen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird hieraus schließen, dass auch für den Fall des Erwerbs eines Ersatzfahrzeugs der versicherten Fahrzeuggruppe nach Abschluss des Versicherungsvertrags Versicherungsfälle der streitgegenständlichen Art vom Leistungsversprechen des Versicherers umfasst sind. Die somit bestehenden Auslegungszweifel gehen gemäß § 305c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders.
Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts stellt sich nach dessen Feststellungen bisher auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Insbesondere war die Rechtsschutzversicherung danach nicht berechtigt, gemäß § 17 Abs. 1 VRB 1994 Deckungsschutz zu versagen, denn die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der Versicherungsnehmerin könnte hinreichende Aussicht auf Erfolg haben und den höchstrichterlichen Anforderungen an die Geltendmachung eines deliktischen Schadensersatzanspruchs genügen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. Oktober 2025 – IV ZR 86/24